Eine alltägliche Situation in einem Synchronstudio: eine Synchronsprecherin sitzt vor einem Bildschirm, verfolgt über Kopfhörer die Intonation, mit den Augen die Lippenbewegung einer Schauspielerin, um Emotion und Timing genau zu treffen.
Mit dem Video „Time is the Killer“(2008) greift Petra Lottje diese Situation auf, dreht sie jedoch um. In einer performativen Spiegelbeziehung sieht man die Künstlerin einmal als Synchronsprecherin mit Kopfhörer, im Close-up vom Bildrand angeschnitten, stumm und unbeweglich in verlorenem Profil, und ein zweites Mal als Schauspielerin, klein in der Bildtiefe auf einem LCD-Screen, das sensible Gesicht verloren im Schwarzraum, mit den Augen ihr Gegenüber suchend, bevor sie beginnt zu ‚sprechen’. Vier abgerissene Sätze aus Spielfilmen, drei mit männlicher, einer mit weiblicher Stimme, werden von der Mundbewegung der Künstlerin synchronisiert. In langen Pausen sucht ihr nach innen gerichteter Blick nach der Quelle dieser fremden Stimmen, mit einem Anflug von Verstörung und Verwunderung, während mit einer Überblendung der Loop diese Suche auf Dauer stellt.
Lipsynch ist die Methode der Simulation des direkten Sprechens durch synchrone Lippenbewegung. Politiker dürfen nicht aus der Rolle fallen, wenn sie Lipsynch für präfabrizierte Reden verwenden, sonst fliegt der Betrug um die stimmliche Präsenz auf. Popstars verwenden Lipsynch, um die Tonqualität zu optimieren, die Fans sind sowieso auf Distanz. Lypsynch ist also das gegenteilige Verfahren in Bezug auf Stimmensynchronisation. In Petra Lottjes Videos mit Lipsynch kommt jedoch eine weitere Dimension hinzu, die Bedrohung unserer Identität, die mit der medialen Stimm-Enteignung zu tun hat.
Die Stimme ist das Persönlichste eines Menschen. In ihrem Timbre verraten Menschen ihre Gefühle. Die Stimme täuscht niemals, selbst oder gerade wenn sie sich verstellt. Bilder können seit undenklichen Zeiten von ihren Trägern gelöst werden, Töne erst seit etwas mehr als hundert Jahren, als Schallwellen transportiert und aufgezeichnet. Die Verlässlichkeit der aufgezeichneten Stimme beglaubigte – „his masters voice“ – sogar ein Hund. Stimmen selbst – und die sie Hörenden – können seither auf völlig neue Weise manipuliert werden.
Kultfilme, Fernsehshows und Werbeclips muten uns optisch primordiale Spiegelaffenreaktionen zu, akustisch dringen sie in unser Unterbewusstes, manipulieren und modellieren unser Begehren. In Werbespots werden Stimmen häufig von ubiquitären Kreidewölfen nachsynchronisiert, um die Bilder noch mehr mit Verlockungen zum dahin Schmelzen und cleveren Imperativen aufzuladen.
Diese Tonspur, die in unser Erleben und Handeln einsickert, betreibt einen subkutanen Stimmverlust, eine Aushöhlung der eigenen Stimme, an der unser Wünschen, Vermeiden und Argumentieren hängt.
Petra Lottje traktiert die Pseudoeinheit von optischem und akustischem Sprecher in Werbespots und Spielfilmen in ihren Videos „Sehnsucht“ und „Greenscreen“ (2010) auf fulminante Weise, indem sie die Sprechenden noch einmal vom Bild löst und durch ein einziges, nämlich ihr eigenes Bild ersetzt. Anders als in den Quellen, die sie verwendet, passt die Tonspur nun auf amüsante, verstörende oder groteske Weise nicht mehr zu den Bildern, respektive zum immer gleichen Bild der Performerin. Sie ‚redet’ mal mit männlicher, mal mit weiblicher Stimme, und selbst die weiblichen Stimmen zielen häufig am optischen Eindruck der Künstlerin vorbei. Dadurch entsteht ein Doppelspiel, ein produktiver Riss zwischen Sprechakt und Sprecherin. Aber das Doppelspiel reicht, insbesondere in „Greenscreen“, noch weiter.
„Greenscreen“ ist ein Verfahren, Videoaufnahmen von Personen, die vor einer grünen Leinwand agieren, anschließend im Computer auszuschneiden, um sie beliebig mit anderen Hintergründen in real time zu synchronisieren. Man kann in diesem Fall jedoch Greenscreen zugleich metaphorisch auch auf den Einsatz von lipsynch beziehen. Die Stimmen der Werbung, nun aus dem Off kommend und via lipsynch von der Performerin imitiert, synchronisieren Bild und Ton so, dass man den falschen Zungenschlag der Werbung umso stärker erlebt. Vorstellbar ist zudem, dass bei der nächsten Werbesendung in Kino oder Fernseher der grelle Greenscreen sich zurückmeldet und es zu einer Bild-Ton-Störung im Bewusstsein des Betrachters kommt. Die unterschwellige Synchronizität von Werbespot und Betrachter wäre dann in einem überraschenden Nicht-Ich durchbrochen, und der Betrachter/Hörer könnte sich endlich einmal in einer Differenz erleben.
Die verfremdeten Werbeclips arbeiten mit einer Hektik von Wort- und Tonfolgen, wie sie sich beispielsweise beim Zappen durch Programme einstellt. Das Zerschneiden von Zusammenhängen bringt das Redundante sowie die Gleichförmigkeit der konkurrierenden Messages zum Vorschein.
In den Videos und Videoinstallationen, die sich auf Filme beziehen, beispielsweise „Episoden“ (2009)oder „Jedes Zimmer hinter einer Tür“ (2006), treten hingegen andere Momente in den Vordergrund.
Die 3-Channel-Installation „Episoden“ zeigt zwei Performer, einen Mann und eine Frau, letztere die Künstlerin selbst, in kurzen Sequenzen aus Spielfilmen, wo es immer ‚um dasselbe’ geht, Beziehungshoffnungen, -illusionen und –enttäuschungen. Die optische Gleichheit des Paares löst beim Betrachter spontan eine filmische Kontinuitätserwartung aus. Ein solcher Narrationswunsch wird jedoch durch den O-Ton der Stimmen gestört, so dass die Hörer/Betrachter ständig aus einer Gefühlslage heraus- und in eine andere hineingekippt werden. Die notorischen Rollenklischees in Filmen werden dadurch umso stärker erlebt, teilweise fasziniert belustigt genossen, teilweise mit der Frage verknüpft, ob es da jemals ein Entkommen geben kann.
Lipsynch ist nicht ausschließliches Tool der Künstlerin. Die Erfahrung der kulturellen Störung der Beziehung von Sprache und Bild lässt sie in anderen Videos auf Sprache, oder auch Musik, gänzlich verzichten – „Frei Zeit“(2009) –Bild und Ton so voneinander lösen, dass Wunschdimensionen Räume ganz ohne falschen Realismus geöffnet werden – „El momento“ (2010).
Der Rhythmus der Bildeinstellungen, wechselnde Close-ups auf Dinge, Kamerablicke zur Decke oder zum Boden, Bewegungen der Künstlerin im Raum folgen Assoziationsimpulsen; pendelnde Kameraschwenks hin und her – von einem Sessel aus – artikulieren mit optischem Humor die Lösung von zielgerichteter Aktivität. Ein Raumrauschen sotto voce, eine Vogelstimme und leiser Wind vom Hof draußen, ein Feuerzeugs aus dem Off kontrapunktieren die Stille dieser durchkomponierten Pause von gewöhnlicher Betriebsamkeit.
Im Video „El momento“ werden Dinge und Situationen von Wortfolgen aus dem Off bezeichnet, treiben die Unruhe in der Vorbereitung eines Rendezvous’ voran, bevor der Ton bei einer schattenhaften Begegnung im dunklen Treppenhaus gänzlich aussetzt und der Betrachter sich nicht mehr sicher ist, ob alles nur eine Phantasie war. Es gibt jedoch so etwas wie ein videographisches „Punktum“, um auf Roland Barthes’ Kriterium der Glaubwürdigkeit einer Fotografie anzuspielen. Im Video ist es ein Missgeschick: das herunterfallende Geschirr, im Augenblick wo die Klingel den Erwarteten ankündigt.
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Ursula Panhans-Bühler: Synchronisationssplit
Eine alltägliche Situation in einem Synchronstudio: eine Synchronsprecherin sitzt vor einem Bildschirm, verfolgt über Kopfhörer die Intonation, mit den Augen die Lippenbewegung einer Schauspielerin, um Emotion und Timing genau zu treffen.
Mit dem Video „Time is the Killer“(2008) greift Petra Lottje diese Situation auf, dreht sie jedoch um.
In einer performativen Spiegelbeziehung sieht man die Künstlerin einmal als Synchronsprecherin mit Kopfhörer, im Close-up vom Bildrand angeschnitten, stumm und unbeweglich in verlorenem Profil, und ein zweites Mal als Schauspielerin, klein in der Bildtiefe auf einem LCD-Screen, das sensible Gesicht verloren im Schwarzraum, mit den Augen ihr Gegenüber suchend, bevor sie beginnt zu ‚sprechen’. Vier abgerissene Sätze aus Spielfilmen, drei mit männlicher, einer mit weiblicher Stimme, werden von der Mundbewegung der Künstlerin synchronisiert.
In langen Pausen sucht ihr nach innen gerichteter Blick nach der Quelle dieser fremden Stimmen, mit einem Anflug von Verstörung und Verwunderung, während mit einer Überblendung der Loop diese Suche auf Dauer stellt.
Lipsynch ist die Methode der Simulation des direkten Sprechens durch synchrone Lippenbewegung. Politiker dürfen nicht aus der Rolle fallen, wenn sie Lipsynch für präfabrizierte Reden verwenden, sonst fliegt der Betrug um die stimmliche Präsenz auf. Popstars verwenden Lipsynch, um die Tonqualität zu optimieren, die Fans sind sowieso auf Distanz. Lypsynch ist also das gegenteilige Verfahren in Bezug auf Stimmensynchronisation. In Petra Lottjes Videos mit Lipsynch kommt jedoch eine weitere Dimension hinzu, die Bedrohung unserer Identität, die mit der medialen Stimm-Enteignung zu tun hat.
Die Stimme ist das Persönlichste eines Menschen. In ihrem Timbre verraten Menschen ihre Gefühle. Die Stimme täuscht niemals, selbst oder gerade wenn sie sich verstellt. Bilder können seit undenklichen Zeiten von ihren Trägern gelöst werden, Töne erst seit etwas mehr als hundert Jahren, als Schallwellen transportiert und aufgezeichnet. Die Verlässlichkeit der aufgezeichneten Stimme beglaubigte – „his masters voice“ – sogar ein Hund. Stimmen selbst – und die sie Hörenden – können seither auf völlig neue Weise manipuliert werden.
Kultfilme, Fernsehshows und Werbeclips muten uns optisch primordiale Spiegelaffenreaktionen zu, akustisch dringen sie in unser Unterbewusstes, manipulieren und modellieren unser Begehren. In Werbespots werden Stimmen häufig von ubiquitären Kreidewölfen nachsynchronisiert, um die Bilder noch mehr mit Verlockungen zum dahin Schmelzen und cleveren Imperativen aufzuladen.
Diese Tonspur, die in unser Erleben und Handeln einsickert, betreibt einen subkutanen Stimmverlust, eine Aushöhlung der eigenen Stimme, an der unser Wünschen, Vermeiden und Argumentieren hängt.
Petra Lottje traktiert die Pseudoeinheit von optischem und akustischem Sprecher in Werbespots und Spielfilmen in ihren Videos „Sehnsucht“ und „Greenscreen“ (2010) auf fulminante Weise, indem sie die Sprechenden noch einmal vom Bild löst und durch ein einziges, nämlich ihr eigenes Bild ersetzt. Anders als in den Quellen, die sie verwendet, passt die Tonspur nun auf amüsante, verstörende oder groteske Weise nicht mehr zu den Bildern, respektive zum immer gleichen Bild der Performerin. Sie ‚redet’ mal mit männlicher, mal mit weiblicher Stimme, und selbst die weiblichen Stimmen zielen häufig am optischen Eindruck der Künstlerin vorbei.
Dadurch entsteht ein Doppelspiel, ein produktiver Riss zwischen Sprechakt und Sprecherin. Aber das Doppelspiel reicht, insbesondere in „Greenscreen“, noch weiter.
„Greenscreen“ ist ein Verfahren, Videoaufnahmen von Personen, die vor einer grünen Leinwand agieren, anschließend im Computer auszuschneiden, um sie beliebig mit anderen Hintergründen in real time zu synchronisieren. Man kann in diesem Fall jedoch Greenscreen zugleich metaphorisch auch auf den Einsatz von lipsynch beziehen.
Die Stimmen der Werbung, nun aus dem Off kommend und via lipsynch von der Performerin imitiert, synchronisieren Bild und Ton so, dass man den falschen Zungenschlag der Werbung umso stärker erlebt. Vorstellbar ist zudem, dass bei der nächsten Werbesendung in Kino oder Fernseher der grelle Greenscreen sich zurückmeldet und es zu einer Bild-Ton-Störung im Bewusstsein des Betrachters kommt. Die unterschwellige Synchronizität von Werbespot und Betrachter wäre dann in einem überraschenden Nicht-Ich durchbrochen, und der Betrachter/Hörer könnte sich endlich einmal in einer Differenz erleben.
Die verfremdeten Werbeclips arbeiten mit einer Hektik von Wort- und Tonfolgen, wie sie sich beispielsweise beim Zappen durch Programme einstellt. Das Zerschneiden von Zusammenhängen bringt das Redundante sowie die Gleichförmigkeit der konkurrierenden Messages zum Vorschein.
In den Videos und Videoinstallationen, die sich auf Filme beziehen, beispielsweise „Episoden“ (2009)oder „Jedes Zimmer hinter einer Tür“ (2006), treten hingegen andere Momente in den Vordergrund.
Die 3-Channel-Installation „Episoden“ zeigt zwei Performer, einen Mann und eine Frau, letztere die Künstlerin selbst, in kurzen Sequenzen aus Spielfilmen, wo es immer ‚um dasselbe’ geht, Beziehungshoffnungen, -illusionen und –enttäuschungen. Die optische Gleichheit des Paares löst beim Betrachter spontan eine filmische Kontinuitätserwartung aus. Ein solcher Narrationswunsch wird jedoch durch den O-Ton der Stimmen gestört, so dass die Hörer/Betrachter ständig aus einer Gefühlslage heraus- und in eine andere hineingekippt werden. Die notorischen Rollenklischees in Filmen werden dadurch umso stärker erlebt, teilweise fasziniert belustigt genossen, teilweise mit der Frage verknüpft, ob es da jemals ein Entkommen geben kann.
Lipsynch ist nicht ausschließliches Tool der Künstlerin. Die Erfahrung der kulturellen Störung der Beziehung von Sprache und Bild lässt sie in anderen Videos auf Sprache, oder auch Musik, gänzlich verzichten – „Frei Zeit“(2009) –Bild und Ton so voneinander lösen, dass Wunschdimensionen Räume ganz ohne falschen Realismus geöffnet werden – „El momento“ (2010).
Der Rhythmus der Bildeinstellungen, wechselnde Close-ups auf Dinge, Kamerablicke zur Decke oder zum Boden, Bewegungen der Künstlerin im Raum folgen Assoziationsimpulsen; pendelnde Kameraschwenks hin und her – von einem Sessel aus – artikulieren mit optischem Humor die Lösung von zielgerichteter Aktivität.
Ein Raumrauschen sotto voce, eine Vogelstimme und leiser Wind vom Hof draußen, ein Feuerzeugs aus dem Off kontrapunktieren die Stille dieser durchkomponierten Pause von gewöhnlicher Betriebsamkeit.
Im Video „El momento“ werden Dinge und Situationen von Wortfolgen aus dem Off bezeichnet, treiben die Unruhe in der Vorbereitung eines Rendezvous’ voran, bevor der Ton bei einer schattenhaften Begegnung im dunklen Treppenhaus gänzlich aussetzt und der Betrachter sich nicht mehr sicher ist, ob alles nur eine Phantasie war.
Es gibt jedoch so etwas wie ein videographisches „Punktum“, um auf Roland Barthes’ Kriterium der Glaubwürdigkeit einer Fotografie anzuspielen. Im Video ist es ein Missgeschick: das herunterfallende Geschirr, im Augenblick wo die Klingel den Erwarteten ankündigt.
In Zeiten jedoch, da nicht nur die Fotografie, sondern alles und jedes optisch oder akustisch manipuliert werden kann, ist dieses ‚Punktum’ eher eine raffinierte Aufladung der Frage, real oder phantasiert ?, und hält so das Wünschen poetisch offen.
© Ursula Panhans-Bühler 2010