Klaus W. Eisenlohr: Auf der Spur

In “Jedes Zimmer Hinter Einer Tür“ inszeniert sich Petra Lottje als den weiblichen Part unterschiedlicher Filme, indem sie den Synchronstimmen ihr “Gesicht leiht, „tonlos wie im Playback-Verfahren, das wir aus Fernsehshows kennen. 25 Szenen entwickeln sich zu eigenständigen Episoden, mit je zu dem Text passendem Setting. Gleichzeitig ist das Playback nicht ‚perfekt‘, manche Lippenbewegungen sind nicht synchron und auch das Setting — alle Aufnahmen für “Jedes Zimmer..“ fanden in ihrer eigenen Wohnung statt — scheint nicht immer ganz zum Dialog zu passen, so dass es auch eine Parodie auf die stereotypen Frauenbilder der Medien sein könnte. Dazu bleibt das Spiel jedoch zu reduziert, zu minimal. Ähnlich wie bei Filmen von Buster Keaton dient das Gesicht der Protagonistin, also Lottje, vor allem der Projektion des Betrachters. (Buster Keaton’s “Poker Face“ war eine Neuerung im Filmschauspiel, die das Kino nachhaltig verändern sollte. Einige Filmkritiker sehen in ihm den Anbeginn des modernen Kinos, bei dem die Großaufnahme mit nur minimalsten Regungen des Schauspielers, oder der Schauspielerin den projizierten Gefühlen des Zuschauers Raum gibt.)
Etwas steht dem parodistischen Re-enacting auf jeden Fall entgegen: obwohl die gesprochenen Texte nicht weniger stereotyp sind, verändert sich der Eindruck über die Zeit, Schauspiel, Text und Inszenierung scheinen immer “echter“ zu werden. Dies passiert nicht nur im Verlauf der Szenen von “Jedes Zimmer Hinter Einer Tür“, sondern gilt für das ganze Programm.
Vielleicht überrascht es zu hören, dass Petra Lottje die Tonclips, mit denen sie arbeitet, auswählt, weil sie sie tatsächlich berühren. Und wenn man sich auf die kurzen Filme emotional einläßt, beginnen sich die Wahrnehmungskategorien zu drehen wie ein Karoussell. Lottje sammelte ursprünglich Synchronstimmen aus Hollywood und anderen Mainstream-Filmen um diese zu Toncollagen und Soundinstallationen zusammenzufügen, bis sie der Wunsch nach einer auch bildhaften Umsetzung zum Video führten. Versuchen wir die kritische Distanz zu
wahren, könnten wir eine Strategie der “Kritik durch Affirmation“ konstatieren. Ein Kritisieren durch totale Bejahung wie sie auch der Pop-Art zugesprochen wird. Den distanziert-kritischen Blick gibt aber auch bei Lottje. Sie stellt die Frage, warum wir uns in diesen typisierten Szenen wiedererkennen: Leben wir unser Leben so sehr nach banalen Mustern, die uns auch noch zum großen Teil von Hollywood vorgegeben werden?
Ein Hollywood-Studio ist ein Zusammenspiel ganz vieler Kräfte, die mit ihrer Kreativität zum gelingen des Werkes beitragen; zumal im Produzentenfilm, bei dem in der Regel der Produzenteinen Stoff findet, die Rechte zur Verfilmung kauft, einen Drehbuchautor (oder -Team) und einen Regisseur beauftragen, den Stoff umzusetzen, wobei wiederum Bühnenbild, Maske, Licht, Ton, Musik, Kamera und Spezialeffekte ihren Teil dazu beitragen. In den Synchronstudios wird der Stoff dann weiter verändert, nicht nur der Text wird übersetzt und dem Rhythmus des Sprechenden angepasst, auch Soundkulisse und Dialekt (ins Hochdeutsche
übertragen) werden verändert, nicht zuletzt auch durch das Timbre der Sprecher. Im Gegensatz dazu geht das klassisch-moderne Konzept der bildenden Kunst von einem alles bestimmenden und möglichst auch ausführenden Genie in einer Person aus, was vor allem auf die Malerei und den Experimentalfilm zutrifft, aber auch das Konzept des Autorenfilms liegt hier nicht weit.
Petra, obwohl in der Mehrzahl ihrer Filme selbst die Hauptperson, sieht sich viel mehr als Teil der Produktionskette des großen Filmes. Sie setzt diese fort, durch ihre Auswahl und weiter dadurch, dass sie der Synchronstimme wieder “ihr Bild“ verleiht. Diese Idee findet sich auch in anderen Arbeiten. “Vielleicht zu lange“ entstand aus einem untertitelten japanischen Spielfilm.
Hier läßt die Künstlerin zwei Schauspieler den Text der deutschen Untertitelung sprechen. Der Streifen mit unterlegten Original-Untertiteln (und Bild) wurde dann von Petra entsprechend dem Tempo der Schauspieler angepasst.
Andere Videos von Petra Lottje basieren stärker auf Bilder und Kameraarbeit. Eine häuslichfamiliäre Szene führte zu “Kunst ist schön, Alltag ist schöner“, das Intro in diesem Programm.
Die reine Beobachtung in einem Zeitraum der Erholung wird ohne viel Editieren zu “Freizeit“, und selbst die Bebilderung von “El Momento“, obwohl diese auf einen Text zum Spanischlernen basiert, scheint eine Art Selbstbeobachtung zu sein. “Beobachtung“ ist vielleicht das Schlüsselwort für Petra Lottje’s Arbeit, trotz aller inszenierter Bilder. Die gesammelten Stellen oder Szenen werden einer Art beobachtenden Untersuchung unterworfen. Die seltsame Verfremdung, die schon durch das Hochdeutsch der Synchronstimme geschieht, hilft dabei, und
ist nicht das “Nachsprechen“ des Textes durch die Künstlerin weniger ein “in die Rolle schlüpfen“ als ein testendes (beobachtendes) Ausprobieren des eigenartig bekannten Kontextes des Textes?
© Klaus W. Eisenlohr, Februar 2011